Unter Pränataldiagnostik (PND) werden vorgeburtliche Untersuchungen am Embryo und Fötus sowie an der schwangeren Person verstanden, bei denen gezielt nach Krankheiten und Be_hinderungen* gesucht wird. PND gilt als Instrument zur Prävention und soll die schwangere Person bzw. die werdenden Eltern auf die Geburt und das Kind vorbereiten.
Die Testergebnisse sind häufig jedoch nicht eindeutig und sagen wenig über die mit der Be_hinderung oder Krankheit verbundenen Einschränkungen aus. Ein Beispiel hierfür ist der Bluttest Praena, der ermitteln soll, ob eine Trisomie 21 vorliegt. Viele der Untersuchungen schaffen somit keine Erleichterung, sondern belasten im Gegenteil die Schwangerschaft mit Unsicherheit und Angst. Indem es in den meisten Fällen keine Behandlungsmöglichkeiten gibt, endet die Schwangerschaft oftmals in einem Abbruch: aus Prävention wird Selektion.
Der Inanspruchnahme von PND und der Entscheidung zu einem Abbruch liegt unter anderem der Wunsch zugrunde, ein “gesundes” und “normales” Kind zu bekommen. Darin kommt mitunter die Angst zum Tragen, mit einem kranken oder be_hinderten Kind die eigenen und gesellschaftlichen Ansprüche nicht erfüllen zu können sowie Ausgrenzung und Diskriminierung zu erfahren.
Diese Angst ist charakteristisch für eine effizienzorientierte Gesellschaft, in der nur das als Leistung zählt, was dem Kapital dienlich ist. „Krankheit“ oder „Be_hinderung“ wird in solch einer Gesellschaft als defizitär angesehen und als das Abweichende zur Norm markiert. Dies produziert eine Gesellschaft, die ableistisch – also diskriminierend und benachteiligend für Menschen mit Be_hinderung und/oder Krankheit – strukturiert ist und die Bedürfnisse dieser Menschen unter anderem aufgrund ökonomischer, sozialer und kultureller Zwänge ausklammert.
In einer neoliberalen Gesellschaft, die weniger durch Verbote als vielmehr durch gesellschaftlich erwünschte internalisierte Normen und Verhaltensweisen geregelt ist, werden die Entscheidungen, die mit den herrschenden Verhältnissen funktionieren, als die Richtigen angesehen. In Verbindung mit einer leistungsorientierten Logik führt dies zu einem Optimierungszwang. Dieser Zwang weitet sich durch PND auf die Schwangerschaft aus. Dies bedeutet, dass bei der Diagnose von Auffälligkeiten der Schwangerschaftsabbruch für viele die nächstliegende Option ist. Indem diese Entscheidung als vermeintlich frei und selbstbestimmt erscheint, findet eine Verschiebung der Verantwortung auf das Individuum statt.
Durch die Individualisierung der Verantwortlichkeiten konzentriert sich der Diskurs und die Suche nach Lösungen auf die Vermeidung von persönlichen Risikofaktoren, anstatt gesellschaftliche Bedingungen in den Blick zu nehmen. Durch PND wird also die Be_hinderung selbst als Problem angesehen, das durch individuelles Verhalten und Eingreifen minimiert werden kann – und nicht die be_hindertenfeindliche Gesellschaft selbst. So wird eine gesellschaftliche Transformation erschwert, durch die Barrieren und Zwänge aufgelöst werden und ein gutes Leben für alle geschaffen werden könnte.
Stattdessen verstärkt PND, institutionalisiert in Form etwaiger Kostenübernahmen durch Krankenkassen und als integraler Bestandteil in Beratungsgesprächen bei Gynäkolog*innen, die Vorstellung von Be_hinderung als die Abweichung von der Norm, die verhindert werden muss. Gleichzeitig wird die Angst vor Be_hinderung ökonomisch verwertbar gemacht.
In der Praxis ist PND somit diskriminierend: Denn wenn die nächstliegende Reaktion auf einen positiven Befund ein Schwangerschaftsabbruch ist, und die “Optimierung” der Situation darin besteht, es “noch einmal zu versuchen” – dann findet eine ableistische Selektion statt, die eine Gesellschaft mit produziert, in der Be_hinderung als das “andere” markiert und ausschließlich mit Leid assoziiert wird.
*Wir schreiben be_hindert/Be_hinderung mit einem Unterstrich, um die gesellschaftliche Dimension von Be_hinderung in der Sprache zu verdeutlichen: Hierdurch werden die Barrieren und Strukturen, welche die be_hinderte Person einschränken, in den Mittelpunkt gestellt und nicht die “Behinderung” an sich. Die Grenze, ab wann jemand als be_hindert gilt, ist fließend.
Literatur:
Achtelik, Kirsten (2015): Selbstbestimmte Norm. Verbrecher Verlag Berlin.
Achtelik, Kirsten (2019): Eingeschränkte Entscheidungsfreiheit, [online] https://www.bpb.de/
Achtelik, Kirsten (2019): Leidvermutung. Pränataldiagnostik und das Bild von Behinderung, [online] https://www.bpb.de/
Gen-ethisches Netzwerk e.V. (2021): Für einen antiableistischen Feminismus! Redebeitrag zu Pränataldiagnostik und Selbstbestimmung, [online] https://www.gen-ethisches-netzwerk.de/
PND-Beratung (o.J.): Was ist Pränataldiagnostik, [online] https://www.pnd-beratung.de