§218 StGB im Dienste der Bevölkerungspolitik

Nationalismus und Nachkriegszeit

Seit §218 in das Strafgesetzbuch (StGB) im Deutschen Kaiserreich 1871 aufgenommen wurde, werden Schwangerschaftsabbrüche rechtlich normiert und kriminalisiert. Häufig stand die staatliche Kontrolle der Reproduktionsfähigkeit dabei unter bevölkerungspolitischen Interessen. Bereits in den Partikulargesetzen des 19. Jahrhunderts wurde der Fötus als eine Form des Lebens betrachtet, zu dessen Schutz der Staat berechtigt sei, um “sich in ihm einen zukünftigen Bürger zu erhalten” (Feuerbach 1847).

Im Deutschen Kaiserreich wurde dem Fötus im Zuge der Aufklärung unter vermeintlich wissenschaftlich-anatomischer Bestimmung der “Status eines künftigen Bürgers” (Bergmann 2021) zugeschrieben, welchen der Staat ab dem Zeitpunkt der Zeugung zu schützen hatte. Der Erhalt des ungeborenen Lebens folgte dabei dem bevölkerungspolitischen Interesse, die nationalstaatliche Geburtenrate zu erhöhen. Dies lag begründet in einem erheblichen Rückgang der Geburtenrate aufgrund des steigenden Gebrauchs von Verhütungsmitteln um die Jahrhundertwende. Abtreibungen wurden infolge als Tötungsdelikte und “Verbrechen wider das Leben” im Strafgesetzbuch verankert. Im Zuge des Kriegsbeginns erlangte die Diskussion um die Geburtenrate aufgrund hoher Menschenverluste sowie des Bedarfs an Soldaten und Arbeiter*innen neue Relevanz.

In der Weimarerer Republik wurde das Abtreibungsverbot trotz der Kämpfe von Frauen für die Abschaffung des §218 beibehalten, jedoch mit einer Strafmilderung*. Der §218 wurde auch von Personen abgelehnt, die Rassenhygiene und Eugenik befürworteten: Angesichts einer nach Kriegsende steigenden Geburtenrate sei der gesunde “Volkskörper” zu fördern, “minderwertiger” Nachwuchs – im Verständnis der Vertreter*innen der Eugenik waren das Menschen mit Be_hinderungen oder Krankheiten – solle hingegen verhindert werden. Es wurde die Einführung einer “eugenischen Indikation” gefordert, um durch Abtreibungen die Geburt von Kindern zu verhindern, die Erbkrankheiten oder Be_hinderungen hatten. Diese Forderung der Vertreter*innen der Eugenik stand in einer langen Tradition, die bis ins Deutsche Kaiserreich zurückreicht.

Literatur:

Bergmann, Anna (2021): Die Abtreibungspraxis im Deutschen Kaiserreich, [online] Digitales Deutsches Frauenarchiv.

Binışık, Derya (2021): Bevölkerungspolitik unter dem Deckmantel des Lebensschutzes – Zur Geschichte des §218, [online] Heinrich Böll Stiftung.

Brüntrup, Marcel (2021): Abtreibungen an Zwangsarbeiterinnen im Nationalsozialismus, [online] Digitales Deutsches Frauenarchiv.

Paulsen, Nina (2017): Familienpolitik. Vom Gedöns zum Schlüsselressort, [online] Hamburger Abendblatt.

Tilentzidis, Julia/Raasch, Markus (o.J.): Schwangerschaftsabbruch, „Abtreibung“. Mainz: Johannes Gutenberg-Universität.

von Behren, Dirk (2019): Kurze Geschichte des Paragraphen 218 Strafgesetzbuch, [online] Bundeszentrale für politische Bildung.

von Feuerbach, Anselm Ritter (1847): Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen Peinlichen Rechts. Gießen: Georg Friedrich Heyer’s Verlag.

von Soden, Kristine (2021): Unter dem Druck der Öffentlichkeit, [online] Digitales Deutsches Frauenarchiv.